Bedeutung der Prokura im Rechts- und
Geschäftsverkehr.
Allgemeines
Das Handelsrecht kennt verschiedene rechtsgeschäftliche
Vertretungsformen. Eine generelle Vertretung in allen denkbaren
Bereichen des Handelsgeschäfts bietet allein die Prokura. Sie ist nach
außen erkennbar und führt zu einer erheblichen Beschleunigung des
Geschäftsverkehrs, ebenso wie zu größerer Rechtssicherheit.
Erteilung der Prokura.
Prokura erteilen kann nur der Kaufmann, also derjenige der im
Handelsregister eingetragen ist oder eingetragen sein müsste. Für
Handelsgesellschaften (GmbH, OHG, KG) handeln deren
vertretungsberechtigte Organe. Die Erteilung der Prokura hat
ausdrücklich zu erfolgen (vergleiche § 48 Abs. 1 HGB). Eine nur
stillschweigende Erteilung oder das Dulden des Auftretens eines Dritten
als Prokurist begründen keine wirksame Prokura. Die Eintragung im
Handelsregister ist nach § 53 HGB vorgeschrieben, aber keine
Wirksamkeitsvoraussetzung, das heißt die Prokuraerteilung ist auch dann
wirksam, wenn die Eintragung unterbleibt. Gleichwohl sollte die
Eintragung ins Handelsregister unverzüglich nach Erteilung erfolgen.
Erteilt werden kann die Prokura grundsätzlich nur einer natürlichen
Person. Die Prokura ist strikt an die Person gebunden, der sie
erteilt wurde. Sie ist nicht übertragbar (§ 52 Abs. 2 HGB).
Das Wesen der Prokura.
Eine wesentliche Erleichterung und Beschleunigung des
Wirtschaftsverkehrs bewirkt die Prokura im Gegensatz zu anderen
Vertretungsformen deshalb, weil ihre Rechtswirkungen nach außen hin
nicht durch den die Prokura erteilenden Geschäftsherrn bestimmt werden
können, sondern im Gesetz festgeschrieben sind.
Umfang.
"Die Prokura ermächtigt zu allen Arten von gerichtlichen und
außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb
eines Handelsgewerbes mit sich bringt." - § 49 Abs. 1 HGB.
Somit ist der Prokurist insbesondere im Gegensatz zum
Handlungsbevollmächtigten nicht nur auf die Vornahme der gewöhnlichen
Geschäfte des Betriebes des Handelsgewerbes beschränkt, sondern kann
darüber hinaus beispielsweise folgende Geschäfte tätigen:
Kreditgeschäfte tätigen,
Angestellte einstellen oder entlassen,
Zweigniederlassungen errichten,
den Geschäftsbereich branchenmäßig erweitern
und Prozesse führen.
Bei den möglichen Rechtsgeschäften ist der Prokurist
nicht auf diejenigen des Handelsverkehrs beschränkt. So sind auch
Willenserklärungen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit Wirkung
für und gegen den Geschäftsherrn möglich.
Schranken.
Nach § 49 Abs. 2 HGB darf der Prokurist weder Grundstücke veräußern
noch belasten, es sei denn, es ist ihm die Befugnis erteilt. Das
Verbot, Grundlagengeschäfte und höchstpersönliche Geschäfte des
Geschäftsherrn vorzunehmen, untersagt es dem Prokuristen darüber hinaus,
selbst eine Prokura zu erteilen, den Jahresabschluss zu unterzeichnen
oder Geschäfte zu tätigen, die den Betrieb des Handelsgewerbes als
solchen betreffen. Dies sind insbesondere folgende:
Einstellung und Veräußerung des Handelsgeschäfts,
Insolvenzantrag,
Firmenänderung
und Anmeldungen zum Handelsregister.
Soweit das Privatvermögen des Kaufmanns vom Gesellschaftsvermögen
unterscheidbar ist, ist der Prokurist selbstverständlich auch nicht
befugt, über das Privatvermögen zu verfügen. Ob die Geschäftshandlungen
des Prokuristen in ihrer Folge zulasten des geschäftlichen oder privaten
Vermögens des Kaufmanns gehen, ist hingegen unerheblich.
Erscheinungsformen.
Der Kaufmann kann die Prokura nach außen hin nicht einschränken.
Die (zuvor beschriebenen) weitreichenden Vollmachten des Prokuristen
können den Kaufmann jedoch im Einzelfall dazu veranlassen, die Prokura
auf mehrere Schultern zu verteilen, um Vertrauensmissbräuchen und
wirtschaftlichen Fehlentscheidungen durch den Prokuristen vorzubeugen.
Gesamtprokura.
Gemäß § 48 Abs. 2 HGB kann die Erteilung der Prokura nicht nur an eine,
sondern auch an mehrere Personen gemeinschaftlich erfolgen. Eine
wirksame Stellvertretung ist in diesen Fällen nur durch das gemeinsame
Handeln aller Prokuristen möglich. Ein gleichzeitiges Handeln ist aber
nicht nötig.
Ein Gesamtprokurist kann stellvertretend auch für den anderen handeln,
wenn der Wille zur Stellvertretung nach außen in Erscheinung tritt
und die Ermächtigung des anderen Gesamtprokuristen vorliegt. Das
alleinige Handeln eines Gesamtprokuristen kann auch nachträglich durch
den anderen genehmigt werden. Eine passive Vertretung (zum Beispiel
Entgegennahme von Willenserklärungen) kann ein Gesamtprokurist immer
alleine vornehmen.
Als weitere Spielart bietet sich die gemischte
Gesamtprokura an. In diesem Fall besitzt Prokurist P 1 Einzelprokura
und zusätzlich gemeinsam mit Prokurist P 2 Gesamtprokura, so dass
Prokurist P 2 nicht allein vertretungsberechtigt ist.
Insbesondere in
größeren Betrieben hat sich die so genannte Gruppenprokura bewährt. In
einem größeren Betrieb sollen P 1 - P 6 jeweils eigene Geschäftsbereiche
führen. Alleinvertretungsmacht auf ihrem Geschäftsgebiet wird ihnen
durch Erteilung einer Handlungsvollmacht übertragen. Darüber hinaus
sollen von den P 1 - P 3 jeweils zwei gemeinsam und von den P 4 - P 6
ebenfalls jeweils zwei gemeinsam zur Gesamtprokura ermächtigt sein.
Dieses Modell hat den Vorteil, dass bei Rechtshandlungen, die P 1 - P 6
als Prokuristen vornehmen, durch die Mitwirkungspflicht eines anderen
aus dem jeweiligen Prokuristenkreis eine Kontrollmöglichkeit bei
Geschäften, die über einen Geschäftsbereich hinausgehen, erfolgt, ohne
dass die Prokura nach außen hin unzulässig eingeschränkt wäre.
Andererseits ist dieses Modell flexibel genug, dass P 1 - P 6 in ihren
jeweiligen Geschäftsbereichen als Handlungsbevollmächtigte allein
handeln können.
Auf die beschriebene Weise wird eine möglichst effektive, den durch den
Arbeitsvertrag konkret umrissenen Arbeitsbereich jedes einzelnen
Prokuristen berücksichtigende Aufteilung der
Stellvertretungsmöglichkeiten erreicht.
Unechte Gesamtvertretung.
Gemäß § § 125 Abs. 3 HGB ist es bei der OHG und KG möglich, im
Gesellschaftsvertrag eine Regelung zu treffen, die anstelle der
"normalen" gemeinschaftlichen Vertretung der Gesellschaft durch
mindestens zwei Gesellschafter vorsieht, dass der Prokurist gemeinsam
mit einem Gesellschafter vertretungsbefugt ist.
Diese Vertretungsform nennt man "unechte Gesamtvertretung". Im Gegensatz
zur Gesamtprokura liegt hier keine gewillkürte, durch Rechtsgeschäft
begründete Vertretungsregelung vor, sondern ein Fall gesetzlicher
Vertretungsmacht. Daher ist es bei der unechten Gesamtvertretung
möglich, dem Prokuristen zusätzlich hierzu Einzelprokura zu erteilen.
Als gesetzlicher Vertreter kann er nur mit dem im Gesellschaftsvertrag
bestimmten Organteil (Gesellschafter) zusammenwirken. Im Rahmen der
gewillkürten Stellvertretung ist er alleinvertretungsberechtigt.
In einer Personengesellschaft (OHG, KG) ist die Erteilung einer
"unechten Gesamtprokura" immer dann unzulässig, wenn nur ein einziger
Gesellschafter berechtigt ist, die Gesellschaft zu vertreten, weil dann
ein Verstoß gegen das Gebot der Selbstorganschaft von
Personengesellschaften vorliegen würde.
Niederlassungsprokura.
Hat der Kaufmann Zweigniederlassungen gegründet, kann er gemäß § 50 Abs.
3 HGB die Prokura auch auf eine einzelne Zweigniederlassung beschränken.
Voraussetzung hierfür ist, dass die Zweigniederlassung im
Geschäftsverkehr als klar vom Kern des Unternehmens abtrennbarer Teil
erkennbar ist. Die Zweigniederlassung muss deshalb eine von der
Hauptniederlassung unterschiedliche Firma führen. Dies kann durch
Anfügung eines entsprechenden Zusatzes geschehen. Diese Beschränkung der
Prokura auf den Bereich einer einzelnen Zweigniederlassung muss ebenso
ausdrücklich erklärt werden wie deren Erteilung gemäß § 48 Abs. 1 HGB.
Erlöschen und Rechtsscheinhaftung.
Erlöschenstatbestände
Die Prokura erlischt durch den Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des
Prokuristen oder mit dessen Tod, nicht hingegen mit dem Tod des
Geschäftsinhabers (§ 52 Abs. 3 HGB). Auch die Begründung einer
Mitinhaberschaft des Geschäftes durch den Prokuristen führt zum
Erlöschen der Prokura. Gleiches gilt bei Geschäftsaufgabe oder
Verlust der Kaufmannseigenschaft. Zum Erlöschen führt auch der
Fortfall des der Prokura zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses.
Der weitaus wichtigste Erlöschenstatbestand ist der jederzeit
mögliche Widerruf der Prokura gemäß § 52 Abs. 1 HGB. Das zugrunde
liegende Rechtsverhältnis bleibt von diesem Widerruf unberührt.
Widerrufen kann jeder, der auch zur Erteilung der Prokura ermächtigt
ist. Der Widerruf kann formlos, muss aber unzweideutig erklärt werden.
Das Erlöschen der Prokura ist im Handelsregister einzutragen (§ 53 Abs.
3 HGB).
Rechtsfolgen fehlerhafter Prokura
Ist die Prokura fehlerhaft erteilt, so ist sie unwirksam beziehungsweise
anfechtbar. Darüber hinaus wirkt zugunsten Dritter der
Gutglaubensschutz des Handelsrechts, der sich aus der Publizitätswirkung
des Handelsregisters ergibt. § 15 Abs. 1 HGB schützt die "negative"
Publizität des Handelsregisters. Ein Dritter kann auf das Fortbestehen
der im Handelsregister eingetragenen, eintragungspflichtigen Tatsachen
vertrauen, es sei denn, er hat die Unrichtigkeit gekannt. Demnach muss
der Kaufmann bei Widerruf der Prokura darauf achten, dass die
entsprechende Handelsregistereintragung gelöscht wird, um der möglichen
Rechtsscheinhaftung nach § 15 Abs. 1 HGB zu entgehen.
Wird die richtige Handelsregistereintragung unrichtig bekannt gemacht,
so wird das Vertrauen eines Dritten, der die Unrichtigkeit nicht kannte,
hierauf nach § 15 Abs. 3 HGB geschützt. Rechtsscheingrundlage für § 15
Abs. 3 HGB ist die unrichtige Bekanntmachung. Nach § 15 Abs.3 HGB haftet
derjenige, der die unrichtige Bekanntmachung im weitesten Sinne
veranlasst hat. § 15 Abs. 3 HGB ist entsprechend auf den Fall
anzuwenden, dass die Prokura im Handelsregister unrichtig eingetragen
wurde. Die Eintragung und die Bekanntmachung sind gleichwertige
Rechtsscheinträger. Geschützt wird dadurch der Dritte, der im Vertrauen
auf die unrichtige Eintragung/Bekanntmachung Rechtsgeschäfte vorgenommen
hat. Er kann seinen Schaden ersetzt verlangen. Wegen dieser durch die
entsprechenden Anwendungen des § 15 Abs. 3 HGB "positiven"
Publizitätswirkung des Handelsregisters sollte die Eintragung der
Prokura umgehend auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden.